PALETTE-MAGAZIN Ausgabe 4/2020 SPIEGEL DER SEELE – im Atelier von Alessandro Serafini

Ab Seite 28 des Magazins erschien die Veröffentlichung eines Gesprächs mit Alessandro Serafini, geführt von Frau Dr. Ulrike Fuchs (Dozentin im Bereich Kunst und Kultur, Referentin und Journalistin, Verfasserin von Ausstellungskataloge und Künstlerbiographien)

„Der außergewöhnliche Ausdruck, der die von Alessandro Serafini gemalten Gesichter auszeichnet, erinnert an das archaische Lächeln frühklassischer Statuen. Dass das nicht nur an seiner Heimat Italien liegt, zeigt sich im Gespräch“ von Dr. Ulrike Fuchs

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Herr Serafini, warum haben Sie das Gesicht zu Ihrem Hauptthema gemacht?

Alessandro Serafini: Ich habe Ende der siebziger Jahre bei einem Verlag in Rom gearbeitet, für den ich Illustrationen anfertigte. Diese figurativen Darstellungen waren für Kinderbücher und andere Texte. Auch die Plakate haben wir noch von Hand gearbeitet, das heißt: wir haben keine Fotos benutzt, sondern die Motive gezeichnet. Personen zeigte ich damals fast ausschließlich im Profil. Dadurch waren sie ohne Bewegung, statisch und hatten keinen Kontakt zum Betrachter. Die Köpfe und Körper waren sehr plastisch ausgearbeitet. Parallel dazu sind in den achtziger Jahren auch erste Gemälde entstanden , hauptsächlich Landschaftsdarstellungen mit einer nordischen Stimmung. Im nächsten Schritt habe ich diese Landschaften mit einem Gesicht kombiniert. Erst 1997 habe ich mich getraut, ein Gesicht frontal darzustellen, sodass es den Betrachter anschaut. Es war überdimensional groß, ein Meter mal ein Meter im Dreiviertelprofil und ist mit mir in einen Dialog getreten. Das hat mich so begeistert, dass ich dieses Thema weiterverfolgt habe und die Landschaft sukzessive aus den Bildern verschwand. Mich interessiert hauptsächlich der Bereich zwischen Stirn und Nase.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Arbeiten Sie mit einem Modell?

Alessandro Serafini: Nein. Das ist Fiktion . Meine Gesichter sind sehr weiblich, aber dennoch möchte ich mich nicht auf ein bestimmtes Geschlecht festlegen. Es ist ein Typus, kann ein Mann sein oder eine Frau oder androgyn. Die meisten Betrachter denken allerdings, es seien Frauen.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Wie würden Sie diesen Typus beschreiben?

Alessandro Serafini: Er ist nicht ethnisch definiert , vielleicht etwas nordisch. Die Züge der Gesichter könnten sowohl europäisch als auch kaukasisch sein. Aber das spielt keine Rolle für mich. Wichtig sind der Blick, die lang gezogene Nase und das gestreckte , schmale Gesicht. Was mich fesselt ist die Malerei des Gesichts. Ich habe mich intensiv mit der Malerei des 15. Jahrhunderts auseinandergesetzt: Antonello da Messina, Rogier van der Weyden und Petrus Christus. Das waren meine Meister, an deren Bildern ich gelernt und mich orientiert habe. Der psychologische Blick, den diese Maler den Gesichtern gegeben haben, hat mich sehr fasziniert. Ich bin in die Museen gegangen und habe deren Bilder studiert und kopiert, immer wieder.

o.T., 1994, Öl auf Leinwand auf Stoff, 150 x 120 cm

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Was meinen Sie, wenn Sie von dem psychologischen Blick sprechen?

Alessandro Serafini: Ich meine eine Art seelisch- menschliche Grundbefindlichkeit. Über das Bild trete ich mit einem Gegenüber in eine Kommunikation .

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Manchmal ist es nur eine Gesichtshälfte: Warum?

Alessandro Serafini: Eine Hälfte ist stärker als ein ganzes Gesicht. Die Reduzierung auf einen Teil des Gesichts ermöglicht mehr Freiheit im Hinblick auf die Malerei. Sie bringt eine Steigerung der Konzentration. Noch ein Aspekt ist wichtig: Wenn man nur eine Gesichtshälfte sieht, assoziiert man eine Person, die an einer Tür oder hinter einem Vorhang steht, eben nur kurz hervorschaut und daher teilweise verdeckt bleibt. Das ist eine geheimnisvolle Situation, denn daran lassen sich eine ganze Reihe von Vorstellungen knüpfen . Beispielsweise die, dass jemand etwas ausspioniert oder aber auch , dass wir als Betrachter zum heimlichen Beobachter werden.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Gibt es deshalb keine lachenden Gesichter in Ihren Werken?

Alessandro Serafini: Mein Ziel ist es, eine größtmögliche Neutralität zu erreichen, was ich natürlich nicht immer schaffe. Daher benutze ich auch keine Modelle. Ich möchte einen Bereich finden , in dem die Personen weder lachen noch weinen. Aber sie sollen eine Tendenz zur Nachdenklichkeit und Skepsis oder auch etwas Melancholisches oder Ironisches ausdrücken. Dazu geben ich den Mundwinkeln eine ganz bestimmte Position, sodass der Betrachter, je nach dem aus welcher Position er schaut und wie das Licht fällt , jeden Tag etwas anderes in den Gesichtern entdecken kann.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Sie haben gesagt, das Gesicht sei eine seelische Landschaft. Was meinen Sie damit und wie passt das zu dem, was Sie gerade gesagt haben?

Alessandro Serafini: Das heißt, dass es sowohl Regen als auch Sonne darin geben kann. Es bedeutet aber nicht , dass sich in meinen Gesichtern die Seele eines Menschen spiegelt. Dafür hätte ich eine bestimmte Person darstellen müssen. Dadurch dass ich diese Neutralität anstrebe, kann der Betrachter sich ein Stück weit selbst darin finden, etwas von seiner eignen Gefasstheit.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Könnt en Sie dafür nicht auch ein anderes Motiv nehmen?

Alessandro Serafini: Nein, mit meinen Gesichtern meine ich immer den Mensch, auch wenn es diesen Menschen nicht gibt. Ich meine das Menschsein . Vielleicht sind manche Mundpartien von lebenden Personen , die ich irgendwo getroffen habe, für mich so interessant gewesen, dass ich sie in meinem visuellen Gedächtnis gespeichert habe. Das ist möglich. Meine Gesichter sind – wenn Sie so wollen – eine Idealisierung, ein Substrat des menschlichen Gesichts.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Umso mehr stellt sich die Frage, warum die Fröhlichkeit in den Gesichtern fehlt.

Alessandro Serafini: Vielleicht, weil das eine zu starke Gefühlsregung ist, die die angestrebte Neutralität zerstören würde. Ich male auch keine Personen, die weinen oder wütend sind. Mir geht es um die Ästhetik beim Malen, nicht um Gefühle. Ich denke, wenn das Gesicht lachen oder weinen würde , ginge es mir nach zwei, drei Tagen auf die Nerven. Es verlöre das Geheimnisvolle.

o.T., 2010, Öl auf
Hartfaserplatte,
Leinwand
Mischtechnik
160 x 32,5 cm

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Bei manchen Ihrer Köpfe haben Sie einen Gegenstand, etwa einen Würfel oder eine Zitrone dazu gemalt. Warum?

Alessandro Serafini: Diese einfachen Elemente sind seit etwa fünf Jahren zu den Gesichtern dazu gekommen. Meistens sind es natürliche Dinge, wie der Fisch, die Zitrone oder ein Schneckenhaus . Aber es gibt auch die Würfel , die auf das Spiel verweisen. Ob das aus meinem Unterbewusstsein heraus gekommen ist, weiß ich nicht. Ich überlasse die Interpretation dem Betrachter. Auf einem anderen Bild sieht man auf der linken Seite ein Gesicht und auf der rechten ein Rotkehlchen . Ich habe das Rotkehlchen aus ästhetischen Aspekten gemalt. Es hat mir als Gegenüber gefallen. Ein Kunsthistoriker, der das Bild sah, hat auf die symbolische Bedeutung des Rotkehlchens als Zeichen für Sexualität hingewiesen. Das könnte natürlich sein. Ähnlich verhält es sich mit dem Fisch, der in einer Reihe meiner Bilder vorkommt. Mir gefällt die Spannung zwischen den Elementen Fisch und Gesicht. Damitsie auch den Betrachter inhaltlich füllen kann, gebe ich meinen Bildern keine Titel.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Die Oberflächenstruktur Ihrer Bilder erinnert an die von Fresken. In welcher Mischtechnik arbeiten Sie?

Alessandro Serafini: Durch einen anderen Künstler in Rom, der Collagen aus Stoffstücken arbeitete, wurde ich 1986 dazu angeregt, selbst mit ihnen zu experimentieren. Schnell merkte ich, dass sie der Leinwand eine andere Struktur geben. Anfangs waren die mit Holzleim auf die Leinwand gebrachten Stoffstücke noch so grob, dass sie Falten geworfen haben. Heute arbeite ich auf Hartfaserplatten. Ich nagle sie auf einen Leistenrahmen, damit sie Stabilität bekommen. Damit man an den Seiten nicht die dort entstehenden Fugen zeigt, ziehe ich über das ganze Gerüst Stofffetzen, die ich mit Leim verbinde, dass daraus ein Bildkorpus mit einer Struktur entsteht. Schließlich überarbeite ich die Struktur mit einer Spachtelmasse, in die ich Erden, Gips oder auch Sand hineingemischt habe. Mit dieser Masse harmonisiere ich die Oberfläche, sodass keine Risse oder Ansätze sichtbar bleiben. Diese Grundierung meiner Malerei ist mit einer Stuckoberfläche vergleichbar. Ich brauchte die Unregelmäßigkeiten. Dieses Grobe macht meine Bilder lebendig. Erst wenn das Ganze gut eingetrocknet ist, beginne ich zu malen. Wichtig sind die Übergänge, die Schattierungen der Farben, die ich manchmal mit den Fingern male. Das erinnert fast an das Modellieren einer Skulptur . Ich versuche dadurch die Plastizität der Gesichter zu steigern. Allerdings müssen sie immer etwas im Ungewissen bleiben.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Welche Farben verwenden Sie?

Alessandro Serafini: Ich beginne direkt mit Ölfarben . Ich mache keine Skizzen oder Vorzeichnungen mit Kohle oder Bleistift. Eventuelle Elemente , wie etwa die Zitrone, kommen immer erst später.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Muss die Komposition nicht zuvor geplant sein?

Alessandro Serafini: Ich arbeite immer spontan. Das Wichtigste ist es, ein Gesicht immer wieder neu in seinen unendlich vielfältigen Facetten, Momenten und Emotionen zu erfassen. Ein kurzes Zucken des Mundwinkels, das Neigen des Kopfs, ein Lidschlag , die Veränderung des Lichts auf der Wange lassen es immer wieder neu und anders erscheinen .

o.T., 2006, Öl auf Hartfaserplatte,
Leinwand, Mischtechnik, 90 x 100 cm

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Welche Rolle spielt das Format für Sie?

Alessandro Serafini: Ich glaube, dass die Überdimensionalität etwas ist, dass aus mir selbst heraus entstanden ist. Dadurch, dass ich die Ausschnitte der Gesichter verändert habe, erhalte ich auch bei kleineren Formaten die Übergröße des Gesichts. Wenn ich male, kommt es zwar einerseits zu einem Dialog zwischen mir und den Augen. Wenn ich mich aber auf eine bestimmte Gesichtspartie konzentriere, dann wird dieser kleine Ausschnitt wie eine Landschaft , in der das Licht eine große Rolle spielt. Dieser Vorgehensweise kommt ein größeres Format natürlich Besonders entgegen.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Gibt es Farben, die Sie bevorzugen?

Alessandro Serafini: Ja, beispielsweise das Pariser Blau. Natürlich mische ich es mit anderen Farben, etwa Grau und Braun. Später hat sich das Blau immer mehr in Richtung Türkis entwickelt. Dafür habe ich das Preußischblau mit Ocker und Weiß gemischt. Schwarz benutze ich nie, sondern entweder Umbra natur oder gebrannt. Das bringt zusätzliche Wärme in die Bilder.

palette-Dr. Ulrike Fuchs: Haben diese Farben für Sie eine bestimmte Bedeutung?

Alessandro Serafini: Meine Gesichter sind im laufe der Jahre immer wärmer geworden. Als ich anfing zu malen, war Licht auf den Bildern sehr diffus, fast archaisch. Inzwischen macht das Licht den Reiz des Bildes aus. Das Ocker und die Orangetöne haben daher in den letzten Jahren mehr Wärme ins Bild gebracht. Um diesen Eindruck nicht zu zerstören, signiere ich meine Bilder immer auf der Rückseite. Vorne würde die Signatur mich stören. Sie macht das Bild kaputt.

o.T., 2015, Öl auf Hartfaserplatte, Leinwand, Mischtechnik, 30 x 140 cm

 

Vielen Dank an Frau Dr. Ulrike Fuchs und an das Magazin: PALETTE für die Erlaubnis zur Veröffentlichung auf meiner Website.